Der Angriff über Bultmann
Das Sprichwort sagt: Wo Gott eine Kirche baut, da baut der Teufel eine Kapelle daneben. Diese KapelNachdem die kopernikanische Inspiration nach allen Seiten so wissenschaftlich wie möglich untermauert und ausgebaut war, so dass kaum mehr ein Christ daran zu zweifeln wagte, trug der Fürst dieser Weltzeit, der in der Luft herrscht, einen weiteren schweren Angriff auf das Wort Gottes und damit auf die Gemeinde der Gläubigen auf der Erde vor, der diese ganz unvorbereitet traf. Es war wieder die alte Schlangenfrage, nur in hochtheologischem Gewand: Sollte Gott wirklich gesagt haben? Denn dem Feind geht es ja immer darum, die Gemeinde Gottes zu verführen. Die Welt der Ungläubigen hat er ja schon. Sie macht jede geistige Bewegung der Finsterniswelt bis zum offenen Abfall kritiklos mit, weil der Teufel sie regiert!
In seinem weit über die Fachkreise hinaus bekannt und berüchtigt gewordenen Aufsatz über „Neues Testament und Mythologie" schrieb der evangelische Theologieprofessor Bultmann, Marburg, vor einigen Jahren u.a.:
„Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. Die Welt gilt als in drei Stockwerke gegliedert. In der Mitte befindet sich die Erde, über ihr der Himmel, unter ihr die Unterwelt. Der Himmel ist die Wohnung Gottes und der himmlischen Gestalten, der Engel; die Unterwelt ist die Hölle, der Ort der Qual, Aber auch die Erde ist nicht nur die Stätte des alltäglich-natürlichen Geschehens, der Vorsorge und Arbeit, die mit Ordnung und Regel rechnet, sondern sie ist auch der Schauplatz des Wirkens übernatürlicher Kräfte Gottes und seiner Engel, des Satans und seiner Dämonen.
In das natürliche Geschehen und in das Denken, Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatürlichen Mächte ein, Wunder sind nichts Seltenes. Der Mensch ist seiner selbst nicht mächtig, Dämonen können ihn besitzen, der Satan kann ihm böse Gedanken eingeben, aber auch Gott kann sein Denken und Wollen lenken, kann ihn himmlische Gesichte schauen lassen, ihn sein befehlendes öder tröstendes Wort hören lassen, kann ihm die übernatürliche Kraft seines Geistes schenken...
Das alles ist mythologische Rede, und die einzelnen Motive lassen sich leicht auf die zeitgeschichtliche Mythologie der jüdischen Apokalyptik und des gnostischen Erlösungsmythos zurückführen. Sofern es nun mythologische Rede ist, ist es für den Menschen von heute unglaubhaft, weil für ihn das mythische Weltbild vergangen ist.
Die heutige christliche Verkündigung steht also vor der Frage, ob sie, wenn sie vom Menschen Glauben fordert, ihm zumutet, das vergangene mythische Weltbild anzuerkennen. Wenn das unmöglich ist, so entstellt für sie die Frage, ob die Verkündigung des Neuen Testaments eine Wahrheit hat, die vom mythischen Weltbild unabhängig ist; und es wäre dann die Aufgabe der Theologie, die christliche Verkündigung zu entmythologisieren.
Kann die christliche Verkündigung dem Menschen heute zumuten, das mythische Weltbild als wahr anzuerkennen? Das ist sinnlos und unmöglich. Sinnlos; denn das mythische Weltbild ist als solches gar nichts spezifisch Christliches, sondern es ist einfach das Weltbild einer vergangenen Zeit, das noch nicht durch wissenschaftliches Denken geformt ist. Unmöglich; denn ein Weltbild kann man sich nicht durch einen Entschluss aneignen (?! Verf.), sondern es ist dem Menschen mit seiner geschichtlichen Situation ja schon gegeben. Natürlich ist es nicht unveränderlich, und auch der Einzelne kann an seiner Umgestaltung arbeiten. Aber er kann es doch nur so, dass er auf Grund irgendwelcher Tatsachen, die sich ihm als wirklich aufdrängen, der Unmöglichkeit des hergebrachten Weltbildes innewird und auf Grund jener Tatsachen das Weltbild modifiziert oder ein neues entwirft. So kann sich das Weltbild ändern etwa infolge der kopernikanischen Entdeckung oder infolge der Atomtheorie; oder auch indem die Romantik entdeckt, dass das menschliche Subjekt komplizierter und reicher ist, als dass es durch die Weltanschauung der Aufklärung und des Idealismus verstanden werden könnte; oder dadurch, dass die Bedeutung von Geschichte und VoIkstum neu zum Bewusstsein kommt.
Es ist nun durchaus möglich, dass in einem vergangenen mythischen Weltbild Wahrheiten wieder neu entdeckt werden, die in einer Zeit der Aufklärung verloren gegangen waren, und die Theologie hat allen Anlass, diese Frage auch in Bezug auf das Weltbild des Neuen Testaments zu stellen. Aber es ist unmöglich, ein vergangenes Weltbild durch einfachen Entschluss zu repristinieren (wieder einzuführen), und vor allem ist es unmöglich, das mythische Weltbild zu repristinieren, nachdem unser aller Denken unwiderruflich (! Der Verfasser) durch die Wissenschaft geformt worden ist. Ein blindes Akzeptieren (Annehmen) der neutestamentlichen Mythologie wäre Willkür (nein; Glaube! Der Verfasser); und solche Forderung als Glaubensforderung erheben, würde bedeuten, den Glauben zum Werk erniedrigen, wie Wilhelm Herrmann - man sollte meinen, ein für allemal - deutlich gemacht hat. Die Erfüllung der Forderung wäre ein abgezwungenes sacrificum intellectus („Verstand verzichtet darauf, etwas zu begreifen"), und wer es brächte, wäre eigentümlich gespalten und unwahrhaftig. Denn er würde für seinen Glauben, seine Religion, ein Weltbild bejahen, das er sonst in seinem Leben verneint. (Warum soll er es sonst im Leben verneinen, etwa aus Angst vor den Gelehrten? Der Verfasser) Mit dem modernen Denken, wie es uns durch unsere Geschichte überkommen ist (dieses moderne Denken kommt vom Teufel! Der Verfasser), ist die Kritik am neutestamentlichen Weltbild gegeben.
Welterfahrung und Weltbemächtigung sind in Wissenschaft und Technik so weit entwickelt, dass kein Mensch ernst am neutestamentlichen Weltbild festhalten kann und festhält. Welchen Sinn hat es, heute zu bekennen: „niedergefahren zur Hölle" oder „aufgefahren gen Himmel", wenn der Bekennende das diesen Formulierungen zugrunde liegende mythische Weltbild von den drei Stockwerken nicht teilt? Ehrlich bekannt werden können solche Sätze nur, wenn es möglich ist, ihre Wahrheit von der mythologischen Vorstellung, in die sie gefasst ist, zu entkleiden - falls es eine solche Wahrheit gibt. Denn das eben ist theologisch zu fragen. Kein erwachsener Mensch stellt sich Gott als ein oben im Himmel vorhandenes Wesen vor (darum; wenn ihr nicht werdet wie die Kinder! Matth. 18,2 Verfasser); ja, den „Himmel im alten Sinne gibt es für uns gar nicht mehr. Und ebenso wenig gibt es die Hölle, die mythische Unterwelt unterhalb des Bodens, auf dem unsere Füße stehen. Erledigt sind damit die Geschichten von der Himmel - und Höllenfahrt; erledigt ist die Erwartung des mit den Wolken des Himmels kommenden .Menschensohnes und das Entrafftwerdens der Gläubigen in die Luft, ihm entgegen" (1 .Thess.4,15 ff).
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